18.04.2021 – 13:56

DIE ZEIT

„Binnen Sekunden ändert sich ein Leben“- Heiner Brand über seinen „schlimmsten Tag“


















Berlin (ots)

Der schlimmste Tag in Heiner Brands Leben war der, an dem sein Freund und Teamkollege Jo Deckarm verunglückte. Während eines Europapokalspiels in Ungarn am 23. März 1979 warf Heiner Brand einen Pass auf Deckarm, der unmittelbar danach mit einem Gegenspieler zusammenprallte und bewusstlos am Boden liegen blieb. Deckarm wurde ins Krankenhaus transportiert. „Jo erwachte erst nach 131 Tagen wieder. Wir hörten davon, fuhren kurz darauf nach Homburg und stellten uns eine nette Begrüßung mit ihm vor. Waren wir schön naiv: nicht nach so langer Zeit im Koma“, erzählt der langjährige Handballbundestrainer in der ZEIT-ONLINE-Serie „Mein schlimmster Tag“.

Brand und Deckarm spielten gemeinsam für Gummersbach und in der Nationalmannschaft. Nach dem Unfall spürte Brand, dass sich etwas verändert hatte: „Im ersten Jahr nach dem Unfall merkte ich, dass wir nicht mehr so intuitiv spielten. Manche Lücken, die da gewesen wären, ließen wir aus, weil wir zu lange nachdachten. Wir dachten an Jo, wir wurden vorsichtiger und es dauerte, bis das überwunden war.“

Gemeinsam mit bekannten Handballern aus Deutschland und Freunden des Handballsports wurde ein Fonds gegründet, um die Reha-Maßnahmen für Jo Deckarm zu finanzieren. Der kämpfte sich aus dem Koma zurück ins Leben, er hat sich das Sprechen und auch das Gehen mühsam wieder selbst erarbeitet. „Als wir unsere Karrieren beendet hatten und Benefizspiele für ihn austrugen, war Jo wieder mit dabei. Wenn er da draußen saß, sahen wir ihn auf der Tribüne und wie sehr er auf fremde Hilfe angewiesen war. Da floss bei jedem von uns immer mal eine Träne“, sagt Brand.

Brands Karriere setzte sich fort, erst als Spieler, dann als Trainer. 2007 gewann er bei der WM in Deutschland Gold mit dem deutschen Nationalteam. Er war der erste deutsche Handballer, der als Spieler und als Trainer Weltmeister wurde. „Durch den Unfall wurde mir aber früh in meinem Leben bewusst, dass Anderes wichtiger ist: Verantwortung, Solidarität, Demut vor dem Leben. Für diese Werte stehen wir bis heute. Ich würde behaupten, dass meine Mannschaften, die 2004 Europameister und 2007 Weltmeister wurden, diese Werte auch in sich trugen. In Gesprächen habe ich diese Erfahrung als Trainer immer weitergegeben. In unserer Gesellschaft gibt es viel Egoismus, Sport kann da vorbildlich hineinwirken“, sagt Brand.

Heute lebt Deckarm in einem Seniorenheim in Brands Wohnort Gummersbach, Brand besucht seinen Freund regelmäßig: „Alles, was gemacht werden konnte, wurde getan. Seit dem Unfall wird Jo so versorgt, wie es am besten möglich ist. Er hat immer zu unserem Team gehört, war und ist einer von uns.“ Er selbst sei durch den Unfall früher erwachsen geworden: „Ein ganzes Leben kann sich binnen einer Sekunde verändern. Das habe ich gelernt.“

Brands Schilderungen sind der zweite Teil der neuen ZEIT-ONLINE-Serie „Mein schlimmster Tag“. Dort sprechen Sportlerinnen und Sportler, Trainerinnen und Trainer und frühere Athletinnen und Athleten übers Scheitern und andere einschneidende Erlebnisse in ihren Leben. Vor allem Sportlerinnen und Sportler kennen dieses Gefühl und den Umgang damit sehr gut. In jedem Teil der Serie erklärten die Protagonisten auch, was sie aus ihrem „schlimmen Tag“ gelernt hat, wie sie mit ihm umgehen und woraus sie Mut schöpfen. Im ersten Teil der Serie sprach die Olympiasiegerin Britta Steffen über einen Tag in einem Berliner Freibad.

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